{"id":11995,"date":"2020-02-21T11:28:30","date_gmt":"2020-02-21T10:28:30","guid":{"rendered":"http:\/\/www.ruhr.sdaj.org\/2020\/02\/21\/ueber-rechte-einmannkasernen\/"},"modified":"2020-03-28T13:20:35","modified_gmt":"2020-03-28T12:20:35","slug":"ueber-rechte-einmannkasernen","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/www.ruhr.sdaj.org\/2020\/02\/21\/ueber-rechte-einmannkasernen\/","title":{"rendered":"\u00dcber rechte \u201eEinmannkasernen\u201c"},"content":{"rendered":"

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Interview: Im Oktober versuchte ein bewaffneter Mann in Halle in eine Synagoge einzudringen und dort ein Blutbad zu verrichten. Er konnte nicht in das j\u00fcdische Gotteshaus eindringen und t\u00f6te zwei Passanten. Der Anschlag von Halle zeigt das gleiche Muster wie die rechten Attentate in M\u00fcnchen, Christchurch, El Paso oder Ut\u00f8ya. Wir haben uns dar\u00fcber mit Chris Reitz unterhalten, der zur \u00c4sthetik der neuen Rechten forscht.<\/strong><\/p>\n

POSITION: Gibt es einen Zusammenhang zu bewaffneten Netzwerken?<\/strong>
Chris Reitz:<\/em><\/strong> Bundesweit formieren sich rechte Netzwerke, die Feindeslisten anlegen, Waffen horten, Leichens\u00e4cke anschaffen, Chemikalien zur Entsorgung von Leichen besorgen und sich auf einen Systemsturz einstellen, dem sie eigens durch Destabilisierungstaktiken den Weg bereiten wollen. Selbst die Verstrickung des Staates in diese sogenannten \u201eSchattenarmeen\u201c ist ein offenes Geheimnis, also dass Geheimdienstvertreter, Armeeveteranen, Polizisten und andere staatstragende Akteure in extremrechten Verb\u00e4nden \u2013 von NSU 2.0 \u00fcber das Veteranennetzwerk Uniter e.V. bis zu S\u00fcd- und Nordkreuz \u2013 involviert sind. Jedoch erscheint diese Komplizenschaft zwischen rechtsextremen Organisationen und Vertretern staatlicher Organe zumeist als systemfremder Unfall.
In der \u00f6ffentlichen Debatte wird die Mitwirkung einzelner Staatsakteure in rechtsnationalen Gruppierungen individualisiert und die zugrundeliegende systematische Logik dieser Verflechtungen ausgeblendet. Dabei hat gerade die Individualisierung des Terrors System. Besonders der Begriff des \u201eAmok\u201c \u2013 der die neuen Ausw\u00fcchse rechter Gewalt, die oberfl\u00e4chlich betrachtet tats\u00e4chlich als Akte individuell agierender Einzelt\u00e4ter erscheinen, ideologisch entkernt und als spontane Gewaltausbr\u00fcche einordnet \u2013 kaschiert den gesellschaftlichen Kausalzusammenhang extremrechten Terrors und leistet zugleich der Kritik staatlicher Verwicklungen, zumeist verk\u00f6rpert durch den Verfassungsschutz, Vorschub.
Nach dem Anschlag am M\u00fcnchner OEZ, der Ermordung Walter L\u00fcbckes, und nicht zuletzt dem Zweifachmord und dem fehlgeschlagenen Attentat auf eine Synagoge in Halle m\u00fcsste eigentlich klar sein, dass der Terrorismus rechter Banden bereits heute zur bundesrepublikanischen Tagesordnung geh\u00f6rt. Es ist nicht so, wie noch viele Beobachter des politischen Tagesgeschehens meinen, dass die Tabubr\u00fcche rechter Politiker dem offenen faschistischen Terror erst den Weg bereiten. Vielmehr geht seit geraumer Zeit eine tiefgreifende Normalisierung rechter Gewalt vonstatten.<\/p>\n

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Im drei\u00dfigsten Jahr nach dem viel umjubelten \u201eMauerfall\u201c scheint das Klima im neuen, gro\u00dfen Deutschland harmonisch. Statt \u201eNie wieder Krieg, nie wieder Faschismus\u201c sind sich die meisten Politiker einig dar\u00fcber, dass Deutschland nach dem Angriffskrieg auf Jugoslawien, dem Krieg in Afghanistan, in der Ukraine oder der Hochr\u00fcstung gegen Russland \u201emehr Verantwortung\u201c \u00fcbernehmen m\u00fcsse. Manche, wie der Chef der neuen Umfragegewinnerin B\u201890\/Die Gr\u00fcnen, fordern sogar, diese Verantwortung nun auch gegen\u00fcber dem Iran einzunehmen. Einig sind sich viele der konservativen Eliten leider auch darin, dass in diesem Land nach den Pogromen von Lichtenhagen, den Anschl\u00e4gen in M\u00f6lln und Solingen und den Morden des sogenannten \u201eNSU\u201c mehr getan werden m\u00fcsse, um den \u201eExtremismus\u201c einzud\u00e4mmen. Das, was damit gemeint ist, hat die Union einmal \u201egeistig-moralische Wende\u201c genannt, hat CSU-Dobrindt als \u201ekonservative Revolution\u201c neu erfunden und wird von verschiedenen CDU\/CSU-Gliederungen immer wieder als Grundrechteeinschr\u00e4nkungen unter dem Mantel der \u201eAktion gegen Links\u201c oder \u201egegen linke Gewalt\u201c verkauft. Drei\u00dfig Jahre nach dem Ende des anderen Deutschlands marschiert die moralische Wende.<\/p>\n

Dabei ist dieser Vormarsch des Irrationalismus und der Anti-Aufkl\u00e4rung kein rein deutsches Ph\u00e4nomen. Selbst in der F\u00fchrungsnation der \u201efreien Welt\u201c, in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wird von regierender Seite \u00c4hnliches in die Massenmedien geschrien. Dabei spielen die Herrschenden h\u00fcben und dr\u00fcben des Atlantiks den gleichen Taschenspielertrink wie bei uns. Ob Drumpf und Breitbart in den USA oder CSU, AfD und Pegida in Deutschland: Sie geben uns eine neue Leitkultur vor, die ausgrenzt, wer sich nicht unterordnet, und jammern gleichzeitig dar\u00fcber, dass sie in dieser von ihnen selber zu verantwortenden Meinungsdiktatur nichts mehr sagen k\u00f6nnten. Bei dem, was die rechten Stimmungsmacher alles sagen \u2013 und vor allem tun! \u2013 k\u00f6nnen, stellt sich aber die Frage, was noch kommen soll, was noch nicht gesagt<\/p>\n

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Das erinnert stark an den sogenannten \u201eNationalsozialistischen Untergrund (NSU)\u201c der \u00fcber zehn Jahre mordend durch Deutschland zog und in den Verfassungsschutz und Co. tief verstrickt waren\u2026<\/strong>
Chris:<\/strong><\/em> W\u00e4hrend \u00e4ltere neonazistische Praxismodelle, wie z.B. im Falle der Morde des NSU, mehr oder weniger auf Geheimhaltung bedacht sind, verfasst der \u201apolitische Soldat\u2018 neurechter Formierungen ein Manifest-artiges Bekennerschreiben, k\u00fcndigt die Tat vorher in digitalen Foren an und filmt sich \u2013 wie beispielsweise die Attent\u00e4ter aus Halle oder Christchurch \u2013 zunehmend selbst. G\u00f6tz Kubitschek, der Gr\u00fcnder des nationalistischen Antaios-Verlags, spricht in einer bewussten Militarisierung der Sprache von den \u201eEinmannkasernen\u201c der neuen Rechten. Angesichts der relativ beschr\u00e4nkten Reichweite zentralgesteuerter Publikationsplattformen (in einer hochgradig atomisierten Gesellschaft) begreift man soziale Medien als Erweiterung der Kampfzone, die neue M\u00f6glichkeiten zur Streuung rassistischer Propaganda, Kaperung gesellschaftlicher Protestpotentiale und somit letztendlich dezentralen Rekrutierung bis dato unerreichter Gesellschaftsteile er\u00f6ffnet.<\/p>\n

Welches Interesse haben die Herrschenden am rechten Terror?<\/strong>
Chris:<\/strong><\/em> Trotz ihrer revolution\u00e4ren Selbstinszenierung stellen diese verschiedenen Varianten rechten Terrors aber letzten Endes gerade nicht die Systemfrage. Die terroristische Einsch\u00fcchterung marginalisierter Gruppen und linker Kr\u00e4fte durch die \u201eEinmannkasernen\u201c der Rechten eilt der autorit\u00e4ren Wende des Standortnationalismus geradewegs voraus. Frei nach H\u00f6cke lehnt man eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten ab und steht in einer offen imperialistischen Rhetorik f\u00fcr eine \u201eUmverteilung des Volksverm\u00f6gens von innen nach au\u00dfen\u201c ein.
Neurechte Terroristen praktizieren in dieser Hinsicht eine Fortsetzung der Konkurrenz mit anderen Mitteln. Und die staatstragenden Parteien der neoliberalen \u201aMitte\u2018 greifen selbst zunehmend zu autorit\u00e4ren Ma\u00dfnahmen, um ihr postdemokratisches Programm zur Aufrechterhaltung der zwischen-imperialistischen Wettbewerbsf\u00e4higkeit des deutschen Kapitals durchsetzen. Dabei gleichen sie sich bereitwillig der fremdenfeindlichen Demagogie der neuen rechten Parteien an. Schlagworte rechter Diskurse gehen wie selbstverst\u00e4ndlich in das Vokabular der selbsternannten Volksparteien \u00fcber (nicht zuletzt als Alexander Dobrindt \u00f6ffentlich eine \u201ekonservative Revolution\u201c forderte und damit stillschweigend den faschistischen Intellektuellen Armin Mohler zitierte).
Sie bauen somit auf der \u00d6ffentlichkeitsarbeit der extremen Rechte auf, um die Bev\u00f6lkerung in die neue \u201eSprache der Macht\u201c (von der Leyen) des deutsch-europ\u00e4ischen Nationalismus einzu\u00fcben. Aus dieser \u201eAntreiberfunktion\u201c (Opitz) in der autorit\u00e4ren Staatswende erkl\u00e4rt sich dann auch wom\u00f6glich die anhaltende Billigung rechter Gewaltstrukturen. Den Strukturwandel der b\u00fcrgerlichen Demokratie sollten wir uns also nicht als \u201eTag X\u201c vorstellen, als ob an diesem oder jenem Tage pl\u00f6tzlich ein neuer Autoritarismus \u00fcber uns hereinbrechen w\u00fcrde. Er schreitet l\u00e4ngst voran.<\/p>\n

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POSITION: Gibt es einen Zusammenhang zu bewaffneten Netzwerken?<\/strong>
Chris Reitz:<\/em><\/strong> Bundesweit formieren sich rechte Netzwerke, die Feindeslisten anlegen, Waffen horten, Leichens\u00e4cke anschaffen, Chemikalien zur Entsorgung von Leichen besorgen und sich auf einen Systemsturz einstellen, dem sie eigens durch Destabilisierungstaktiken den Weg bereiten wollen. Selbst die Verstrickung des Staates in diese sogenannten \u201eSchattenarmeen\u201c ist ein offenes Geheimnis, also dass Geheimdienstvertreter, Armeeveteranen, Polizisten und andere staatstragende Akteure in extremrechten Verb\u00e4nden \u2013 von NSU 2.0 \u00fcber das Veteranennetzwerk Uniter e.V. bis zu S\u00fcd- und Nordkreuz \u2013 involviert sind. Jedoch erscheint diese Komplizenschaft zwischen rechtsextremen Organisationen und Vertretern staatlicher Organe zumeist als systemfremder Unfall.
In der \u00f6ffentlichen Debatte wird die Mitwirkung einzelner Staatsakteure in rechtsnationalen Gruppierungen individualisiert und die zugrundeliegende systematische Logik dieser Verflechtungen ausgeblendet. Dabei hat gerade die Individualisierung des Terrors System. Besonders der Begriff des \u201eAmok\u201c \u2013 der die neuen Ausw\u00fcchse rechter Gewalt, die oberfl\u00e4chlich betrachtet tats\u00e4chlich als Akte individuell agierender Einzelt\u00e4ter erscheinen, ideologisch entkernt und als spontane Gewaltausbr\u00fcche einordnet \u2013 kaschiert den gesellschaftlichen Kausalzusammenhang extremrechten Terrors und leistet zugleich der Kritik staatlicher Verwicklungen, zumeist verk\u00f6rpert durch den Verfassungsschutz, Vorschub.
Nach dem Anschlag am M\u00fcnchner OEZ, der Ermordung Walter L\u00fcbckes, und nicht zuletzt dem Zweifachmord und dem fehlgeschlagenen Attentat auf eine Synagoge in Halle m\u00fcsste eigentlich klar sein, dass der Terrorismus rechter Banden bereits heute zur bundesrepublikanischen Tagesordnung geh\u00f6rt. Es ist nicht so, wie noch viele Beobachter des politischen Tagesgeschehens meinen, dass die Tabubr\u00fcche rechter Politiker dem offenen faschistischen Terror erst den Weg bereiten. Vielmehr geht seit geraumer Zeit eine tiefgreifende Normalisierung rechter Gewalt vonstatten.<\/p>

Das erinnert stark an den sogenannten \u201eNationalsozialistischen Untergrund (NSU)\u201c der \u00fcber zehn Jahre mordend durch Deutschland zog und in den Verfassungsschutz und Co. tief verstrickt waren\u2026<\/strong>
Chris:<\/strong><\/em> W\u00e4hrend \u00e4ltere neonazistische Praxismodelle, wie z.B. im Falle der Morde des NSU, mehr oder weniger auf Geheimhaltung bedacht sind, verfasst der \u201apolitische Soldat\u2018 neurechter Formierungen ein Manifest-artiges Bekennerschreiben, k\u00fcndigt die Tat vorher in digitalen Foren an und filmt sich \u2013 wie beispielsweise die Attent\u00e4ter aus Halle oder Christchurch \u2013 zunehmend selbst. G\u00f6tz Kubitschek, der Gr\u00fcnder des nationalistischen Antaios-Verlags, spricht in einer bewussten Militarisierung der Sprache von den \u201eEinmannkasernen\u201c der neuen Rechten. Angesichts der relativ beschr\u00e4nkten Reichweite zentralgesteuerter Publikationsplattformen (in einer hochgradig atomisierten Gesellschaft) begreift man soziale Medien als Erweiterung der Kampfzone, die neue M\u00f6glichkeiten zur Streuung rassistischer Propaganda, Kaperung gesellschaftlicher Protestpotentiale und somit letztendlich dezentralen Rekrutierung bis dato unerreichter Gesellschaftsteile er\u00f6ffnet.<\/p>

Welches Interesse haben die Herrschenden am rechten Terror?<\/strong>
Chris:<\/strong><\/em> Trotz ihrer revolution\u00e4ren Selbstinszenierung stellen diese verschiedenen Varianten rechten Terrors aber letzten Endes gerade nicht die Systemfrage. Die terroristische Einsch\u00fcchterung marginalisierter Gruppen und linker Kr\u00e4fte durch die \u201eEinmannkasernen\u201c der Rechten eilt der autorit\u00e4ren Wende des Standortnationalismus geradewegs voraus. Frei nach H\u00f6cke lehnt man eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten ab und steht in einer offen imperialistischen Rhetorik f\u00fcr eine \u201eUmverteilung des Volksverm\u00f6gens von innen nach au\u00dfen\u201c ein.
Neurechte Terroristen praktizieren in dieser Hinsicht eine Fortsetzung der Konkurrenz mit anderen Mitteln. Und die staatstragenden Parteien der neoliberalen \u201aMitte\u2018 greifen selbst zunehmend zu autorit\u00e4ren Ma\u00dfnahmen, um ihr postdemokratisches Programm zur Aufrechterhaltung der zwischen-imperialistischen Wettbewerbsf\u00e4higkeit des deutschen Kapitals durchsetzen. Dabei gleichen sie sich bereitwillig der fremdenfeindlichen Demagogie der neuen rechten Parteien an. Schlagworte rechter Diskurse gehen wie selbstverst\u00e4ndlich in das Vokabular der selbsternannten Volksparteien \u00fcber (nicht zuletzt als Alexander Dobrindt \u00f6ffentlich eine \u201ekonservative Revolution\u201c forderte und damit stillschweigend den faschistischen Intellektuellen Armin Mohler zitierte).
Sie bauen somit auf der \u00d6ffentlichkeitsarbeit der extremen Rechte auf, um die Bev\u00f6lkerung in die neue \u201eSprache der Macht\u201c (von der Leyen) des deutsch-europ\u00e4ischen Nationalismus einzu\u00fcben. Aus dieser \u201eAntreiberfunktion\u201c (Opitz) in der autorit\u00e4ren Staatswende erkl\u00e4rt sich dann auch wom\u00f6glich die anhaltende Billigung rechter Gewaltstrukturen. Den Strukturwandel der b\u00fcrgerlichen Demokratie sollten wir uns also nicht als \u201eTag X\u201c vorstellen, als ob an diesem oder jenem Tage pl\u00f6tzlich ein neuer Autoritarismus \u00fcber uns hereinbrechen w\u00fcrde. 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