Über rechte „Einmannkasernen“

veröffentlicht am: 21 Feb, 2020

Interview: Im Oktober versuchte ein bewaffneter Mann in Halle in eine Synagoge einzudringen und dort ein Blutbad zu verrichten. Er konnte nicht in das jüdische Gotteshaus eindringen und töte zwei Passanten. Der Anschlag von Halle zeigt das gleiche Muster wie die rechten Attentate in München, Christchurch, El Paso oder Utøya. Wir haben uns darüber mit Chris Reitz unterhalten, der zur Ästhetik der neuen Rechten forscht.

POSITION: Gibt es einen Zusammenhang zu bewaffneten Netzwerken?
Chris Reitz: Bundesweit formieren sich rechte Netzwerke, die Feindeslisten anlegen, Waffen horten, Leichensäcke anschaffen, Chemikalien zur Entsorgung von Leichen besorgen und sich auf einen Systemsturz einstellen, dem sie eigens durch Destabilisierungstaktiken den Weg bereiten wollen. Selbst die Verstrickung des Staates in diese sogenannten „Schattenarmeen“ ist ein offenes Geheimnis, also dass Geheimdienstvertreter, Armeeveteranen, Polizisten und andere staatstragende Akteure in extremrechten Verbänden – von NSU 2.0 über das Veteranennetzwerk Uniter e.V. bis zu Süd- und Nordkreuz – involviert sind. Jedoch erscheint diese Komplizenschaft zwischen rechtsextremen Organisationen und Vertretern staatlicher Organe zumeist als systemfremder Unfall.
In der öffentlichen Debatte wird die Mitwirkung einzelner Staatsakteure in rechtsnationalen Gruppierungen individualisiert und die zugrundeliegende systematische Logik dieser Verflechtungen ausgeblendet. Dabei hat gerade die Individualisierung des Terrors System. Besonders der Begriff des „Amok“ – der die neuen Auswüchse rechter Gewalt, die oberflächlich betrachtet tatsächlich als Akte individuell agierender Einzeltäter erscheinen, ideologisch entkernt und als spontane Gewaltausbrüche einordnet – kaschiert den gesellschaftlichen Kausalzusammenhang extremrechten Terrors und leistet zugleich der Kritik staatlicher Verwicklungen, zumeist verkörpert durch den Verfassungsschutz, Vorschub.
Nach dem Anschlag am Münchner OEZ, der Ermordung Walter Lübckes, und nicht zuletzt dem Zweifachmord und dem fehlgeschlagenen Attentat auf eine Synagoge in Halle müsste eigentlich klar sein, dass der Terrorismus rechter Banden bereits heute zur bundesrepublikanischen Tagesordnung gehört. Es ist nicht so, wie noch viele Beobachter des politischen Tagesgeschehens meinen, dass die Tabubrüche rechter Politiker dem offenen faschistischen Terror erst den Weg bereiten. Vielmehr geht seit geraumer Zeit eine tiefgreifende Normalisierung rechter Gewalt vonstatten.

Kommentar: Ideologischer Rechtsruck

Im dreißigsten Jahr nach dem viel umjubelten „Mauerfall“ scheint das Klima im neuen, großen Deutschland harmonisch. Statt „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“ sind sich die meisten Politiker einig darüber, dass Deutschland nach dem Angriffskrieg auf Jugoslawien, dem Krieg in Afghanistan, in der Ukraine oder der Hochrüstung gegen Russland „mehr Verantwortung“ übernehmen müsse. Manche, wie der Chef der neuen Umfragegewinnerin B‘90/Die Grünen, fordern sogar, diese Verantwortung nun auch gegenüber dem Iran einzunehmen. Einig sind sich viele der konservativen Eliten leider auch darin, dass in diesem Land nach den Pogromen von Lichtenhagen, den Anschlägen in Mölln und Solingen und den Morden des sogenannten „NSU“ mehr getan werden müsse, um den „Extremismus“ einzudämmen. Das, was damit gemeint ist, hat die Union einmal „geistig-moralische Wende“ genannt, hat CSU-Dobrindt als „konservative Revolution“ neu erfunden und wird von verschiedenen CDU/CSU-Gliederungen immer wieder als Grundrechteeinschränkungen unter dem Mantel der „Aktion gegen Links“ oder „gegen linke Gewalt“ verkauft. Dreißig Jahre nach dem Ende des anderen Deutschlands marschiert die moralische Wende.

Dabei ist dieser Vormarsch des Irrationalismus und der Anti-Aufklärung kein rein deutsches Phänomen. Selbst in der Führungsnation der „freien Welt“, in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wird von regierender Seite Ähnliches in die Massenmedien geschrien. Dabei spielen die Herrschenden hüben und drüben des Atlantiks den gleichen Taschenspielertrink wie bei uns. Ob Drumpf und Breitbart in den USA oder CSU, AfD und Pegida in Deutschland: Sie geben uns eine neue Leitkultur vor, die ausgrenzt, wer sich nicht unterordnet, und jammern gleichzeitig darüber, dass sie in dieser von ihnen selber zu verantwortenden Meinungsdiktatur nichts mehr sagen könnten. Bei dem, was die rechten Stimmungsmacher alles sagen – und vor allem tun! – können, stellt sich aber die Frage, was noch kommen soll, was noch nicht gesagt

Das erinnert stark an den sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund (NSU)“ der über zehn Jahre mordend durch Deutschland zog und in den Verfassungsschutz und Co. tief verstrickt waren…
Chris: Während ältere neonazistische Praxismodelle, wie z.B. im Falle der Morde des NSU, mehr oder weniger auf Geheimhaltung bedacht sind, verfasst der ‚politische Soldat‘ neurechter Formierungen ein Manifest-artiges Bekennerschreiben, kündigt die Tat vorher in digitalen Foren an und filmt sich – wie beispielsweise die Attentäter aus Halle oder Christchurch – zunehmend selbst. Götz Kubitschek, der Gründer des nationalistischen Antaios-Verlags, spricht in einer bewussten Militarisierung der Sprache von den „Einmannkasernen“ der neuen Rechten. Angesichts der relativ beschränkten Reichweite zentralgesteuerter Publikationsplattformen (in einer hochgradig atomisierten Gesellschaft) begreift man soziale Medien als Erweiterung der Kampfzone, die neue Möglichkeiten zur Streuung rassistischer Propaganda, Kaperung gesellschaftlicher Protestpotentiale und somit letztendlich dezentralen Rekrutierung bis dato unerreichter Gesellschaftsteile eröffnet.

Welches Interesse haben die Herrschenden am rechten Terror?
Chris: Trotz ihrer revolutionären Selbstinszenierung stellen diese verschiedenen Varianten rechten Terrors aber letzten Endes gerade nicht die Systemfrage. Die terroristische Einschüchterung marginalisierter Gruppen und linker Kräfte durch die „Einmannkasernen“ der Rechten eilt der autoritären Wende des Standortnationalismus geradewegs voraus. Frei nach Höcke lehnt man eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten ab und steht in einer offen imperialistischen Rhetorik für eine „Umverteilung des Volksvermögens von innen nach außen“ ein.
Neurechte Terroristen praktizieren in dieser Hinsicht eine Fortsetzung der Konkurrenz mit anderen Mitteln. Und die staatstragenden Parteien der neoliberalen ‚Mitte‘ greifen selbst zunehmend zu autoritären Maßnahmen, um ihr postdemokratisches Programm zur Aufrechterhaltung der zwischen-imperialistischen Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Kapitals durchsetzen. Dabei gleichen sie sich bereitwillig der fremdenfeindlichen Demagogie der neuen rechten Parteien an. Schlagworte rechter Diskurse gehen wie selbstverständlich in das Vokabular der selbsternannten Volksparteien über (nicht zuletzt als Alexander Dobrindt öffentlich eine „konservative Revolution“ forderte und damit stillschweigend den faschistischen Intellektuellen Armin Mohler zitierte).
Sie bauen somit auf der Öffentlichkeitsarbeit der extremen Rechte auf, um die Bevölkerung in die neue „Sprache der Macht“ (von der Leyen) des deutsch-europäischen Nationalismus einzuüben. Aus dieser „Antreiberfunktion“ (Opitz) in der autoritären Staatswende erklärt sich dann auch womöglich die anhaltende Billigung rechter Gewaltstrukturen. Den Strukturwandel der bürgerlichen Demokratie sollten wir uns also nicht als „Tag X“ vorstellen, als ob an diesem oder jenem Tage plötzlich ein neuer Autoritarismus über uns hereinbrechen würde. Er schreitet längst voran.

Mark, München

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